Tauchroboter sollen Offshore-Anlagen autonom warten

Tauchroboter sollen Offshore-Anlagen autonom warten
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Künstliche Intelligenz27. Jan 2022Von Stefan Asche

Autonome Roboter, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz eigenständig Offshore-Anlagen unter Wasser inspizieren, warten und reparieren – eine Vision, die gerade greifbar wird.

Um die Sicherheit von Offshore-Infrastrukturen wie Windenergieanlagen oder Öl- und Gasförderungsanlagen zu gewährleisten, ist eine regelmäßige Inspektion und Wartung unerlässlich. Die Arbeiten unter Wasser sind jedoch nicht nur aufwendig und teuer, sondern bergen auch erhebliche Risiken für die Tauchenden, die sie durchführen. Deshalb gibt es bereits ferngesteuerte Mini-U-Boote, um den Zustand maritimer Anlagen zu überwachen. Der Trend geht jedoch hin zu autonomen Unterwasserfahrzeugen (AUVs), die über lange Zeiträume im Wasser verbleiben, dort mithilfe von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) selbstständig operieren und zugleich im Bedarfsfall ferngesteuert werden können.

Forschungskonsortium unter Leitung des DFKI

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist einem Konsortium führender Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus den Bereichen IT, Robotik, Antriebstechnik und Offshore unter Leitung des Robotics Innovation Center am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) im Projekt „Mare-IT“ gelungen. Zum Projektabschluss präsentierten die Partner, zu denen außerdem die DFKI-Forschungsbereiche Kognitive Assistenzsysteme und Eingebettete Intelligenz sowie die Wittenstein Cyber Motor GmbH, SAP SE und die Rosen Technology and Research Center GmbH gehören, eine ganzheitliche Lösung.

Roboter mit zwei Armen

Diese Lösung umfasst ein neuartiges Zweiarm-AUV, das dank zwei integrierter Manipulatoren für Wartungsarbeiten und Reparaturen an Unterwasserstrukturen einsetzbar ist. Darüber hinaus stellen die Partner eine leistungsfähige IT-Infrastruktur bereit, die nicht nur die intuitive Steuerung und Überwachung des Roboters unter Wasser ermöglicht. Sie gewährleistet auch den reibungslosen, bidirektionalen Informationsfluss mit den Anlagenbetreibenden und erlaubt die Einbindung in bestehende Geschäftsprozesse.

Das DFKI Robotics Innovation Center hat in Mare-IT erfolgreich „Cuttlefish“ als ein frei in der Wassersäule positionierbares Interventions-AUV entworfen und aufgebaut. Das innovative AUV verfügt über zwei an der Bauchseite angebrachte, tiefseetaugliche Greifsysteme, mit denen es Objekte unter Wasser manipulieren kann. Dabei ist es dank seines speziellen Designs sowie der KI-basierten Steuerung und Regelung in der Lage, den Schwerpunkt und Auftrieb während eines Tauchgangs zu verändern und beliebige Orientierungen einzunehmen und stabil zu halten.

Glasfaser ermöglicht manuelle Steuerung

Neben dem vollautonomen Einsatz kann das Fahrzeug mittels einer Glasfaser in einem hybriden Modus betrieben werden, der das Eingreifen durch den Menschen erlaubt, etwa bei kritischen Operationen an Unterwasserstrukturen. Dafür ist das AUV mit einer Vielzahl von Sensoren zur Umgebungswahrnehmung ausgestattet, z. B. Sonarsensoren, Kameras, Laserscanner und Magnetometer. Um die große Menge an Sensordaten effektiv verarbeiten zu können, erarbeiteten die Forschenden ein spezielles Architekturkonzept, dass die dezentrale Analyse von Datenströmen direkt an Bord des Roboters ermöglicht. Auch die Umsetzung der Missionsplanung zur Durchführung von Inspektions- oder Wartungsaufträgen verantworteten die Bremer Forschenden. Darüber hinaus entwickelten sie eine einheitliche Schnittstelle, die den bidirektionalen Datenaustausch zwischen AUV, Leitstand und geschäftsinterner Infrastruktur ermöglicht.

Bedienpersonal trägt VR-Brille

Ein am DFKI-Forschungsbereich Kognitive Assistenzsysteme entwickelter virtueller Co-Pilot unterstützt das menschliche Personal im Leitstand bei durchzuführenden Teleoperationsaufgaben. Dafür ist es mit einer Microsoft HoloLens ausgestattet, die entweder in Kombination mit dem Leitstand oder auch als leichtgewichtiges separates Interaktionsmedium, z. B. an Bord eines Schiffs, eingesetzt werden kann. Dank einer holografischen 3D-Darstellung auf dem Display ist die operierende Person jederzeit über den aktuellen Zustand des AUVs und der Unterwasserstruktur informiert. Per natürlicher Sprachinteraktion können Sensorinformationen und Messwerte eingeblendet und Warnungen konfiguriert werden. Zudem lassen sich das AUV und dessen Kameras über Sprachbefehle steuern und in Kombination mit Eye-Tracking Informationen zu Elementen der Infrastruktur abrufen, auf welche die Person gerade schaut. Dabei ist es möglich, eigene Sprachbegriffe während der Mission zu definieren und als Alias, z. B. für Kamera- oder Andockpositionen, zu verwenden.

Künstliche Magnetfelder helfen bei der Lokalisierung

Als Ergänzung zu den innovativen Interaktionstechnologien hat der DFKI-Forschungsbereich Eingebettete Intelligenz in Mare-IT eine Webanwendung erarbeitet, die es erlaubt, das AUV über mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets zu steuern und Parametereinstellungen vorzunehmen. Zudem untersuchten die Forschenden die Einsatzmöglichkeiten von künstlichen, oszillierenden Magnetfeldern für die Lokalisierung des Unterwasserroboters.

Thruster-Antriebe erzeugen einen Schub von 500 N

Die Wittenstein Cyber Motor GmbH entwickelte und produzierte die hochrobusten Thruster-Antriebe für die Fortbewegung des AUVs. Diese verfügen über einen Schub von bis zu 500 N, sind geschützt gegen Seewasser und eignen sich für Wassertiefen bis 6000 m. Bei der Herstellung, bei der spezielle Vergusstechnologien zum Einsatz kamen, wurde auf die Verwendung flüssiger Füllstoffe verzichtet, um chemische Gefahren für die Umwelt abzuwenden. Die zu den Antrieben gehörenden Servoumrichter beinhalten eine speziell auf den Thruster-Motor abgestimmte sensorlose Regelung, die eine genaue, hochdynamische Drehzahlregelung über den gesamten Drehzahlbereich bis hin zum Stillstand in beide Drehrichtungen ermöglicht. Das AUV ist mit acht derartigen Thruster-Antrieben ausgestattet, die im Gesamtverbund hochpräzise Bewegungen ermöglichen, wie sie für das Andocken an Unterwasserstrukturen erforderlich sind. Die hierfür erforderliche Echtzeitkommunikation erfolgt innerhalb des AUVs mittels EtherNet/IP.

Verwaltungsschale reduziert Integrationskosten

SAP untersuchte in Mare-IT, in welcher Form und unter welchen Bedingungen autonome Systeme wie AUVs in IT-Infrastrukturen wie Cloud-Systeme eingebunden werden können. Dafür wurde eine herstellerunabhängige Integration digitaler Zwillinge in betriebswirtschaftliche Anwendungen durch Ausprägung der Verwaltungsschale, einer zentralen Komponente der Referenzarchitektur Industrie 4.0, realisiert. Die Verwaltungsschale stellt die Interoperabilität über Lösungen beliebiger Hersteller sicher. Sie reduziert Integrationskosten und -aufwände, insbesondere, wenn mehrere Organisationen auf Daten digitaler Zwillinge zugreifen sollen. SAP prägte die Verwaltungsschale prototypisch für geplante und ungeplante Wartungsprozesse aus, etwa für das Isolationsventil einer Unterwasserstruktur. Die Cloud-Anwendung SAP Intelligent Asset Management kann nun eine solche Wartung über die Verwaltungsschale des Isolationsventils anstoßen und den Ausführungsstatus durch den Unterwasserroboter zurückerhalten. Dank der Verwaltungsschale können beliebige weitere Systeme anderer Parteien ohne großen Integrationsaufwand dazugenommen oder durch andere ersetzt werden.

An Bord sind vier Messtechnologien

Die Rosen Gruppe, der global führende Anbieter von Integritätsmanagementlösungen für Großindustrieanlagen der Energiewirtschaft, entwickelte im Projekt vier unterschiedliche Messtechnologien für AUVs, um den Zustand verschiedener Unterseestrukturen zu überprüfen: Magnetfeldsensoren zur Detektion von ferromagnetischen Strukturen, Sensoren zur Messung elektrischer Felder von Kathodenschutzanlagen sowie Ultraschall- und Wirbelstromsensoren zur Messung lokaler Wandstärken mithilfe der Manipulatoren am AUV. Zusätzlich wurde eine Kommunikationsboje entwickelt, die eine Datenübertragung vom Roboter durch die Wassersäule an den zentralen Leitstand sicherstellt. Rosen hat erfolgreich alle vier Messtechnologien für den Einsatz am AUV fertiggestellt und liefert somit einen wichtigen Beitrag für autonome Unterwasseranwendungen von komplexen Sensorsystemen.

Das AUV hochkant in der Wassersäule mit ausgefahrenen Manipulatoren. Foto: DFKI, Thomas Frank

Das AUV führt in aufrechter Position Manipulationsaufgaben an einem Unterwasser-Mockup durch. Foto: DFKI, Thomas Frank

Das AUV in Fahrposition mit eingeklappten Manipulatoren. Foto: DFKI, Thomas Frank

Ein Forscher überwacht die Kollisionsvermeidung des AUVs im Dual-Armbetrieb vom Beckenrand aus. Foto: DFKI, Thomas Frank

Das Projekt Mare-IT wurde vom 1. August 2018 bis zum 30. November 2021 vom Projektträger Softwaresysteme und Wissenstechnologien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit rund 5,5 Mio. Euro gefördert.

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