Interview mit Sebastian Rühl, Energieservice Plus "Lippenbekenntnisse von Fernwärmeversorgern reichen uns nicht"

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Interview mit Sebastian Rühl, Energieservice Plus "Lippenbekenntnisse von Fernwärmeversorgern reichen uns nicht"
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  • Von deutschewhiskybrenner
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Düsseldorf (energate) - Das Wohnungsunternehmen LEG versteht sich als Bestandshalter für bezahlbares Wohnen mit Kaltmieten unter 6 Euro pro Quadratmeter. energate sprach im Interview mit Sebastian Rühl, Geschäftsführer der zuständigen Unternehmenstochter Energieservice Plus, darüber, ob und wie sich das Ziel klimaneutrales Wohnen langfristig umsetzen lässt.

ThemenseitenAuf folgenden Themenseiten finden Sie weitere Meldungen zum Thema.Corona EEG-Umlage Mieterstrom Waermewende energate: Herr Rühl, wie schwer ist es, grüne Technologien für Strom und Wärme kosteneffizient in die Fläche zu bringen?

Sebastian Rühl: Solarer Mieterstrom ist angesichts der aktuellen Regulierung und den uneinheitlichen Prozessen der Netzbetreiber tatsächlich eine große Herausforderung für uns. Mieter im Bestand für das Thema zu begeistern, ist nicht so einfach, denn eigenerzeugter PV-Strom kann preislich nicht mit den drei ersten Plätzen bei Preisvergleichsportalen mithalten. Realistisch ist aktuell ein Preis etwas unter der Grundversorgung, mit der wir es mindestens aufnehmen müssen.

energate: Das heißt, grüner Mieterstrom ist nur etwas für den Neubau?

Rühl: Nein, auch wir müssen uns mit Blick auf unser Ziel klimaneutrales Wohnen bis 2050 mit grünem Mieterstrom und vor allem der Erschließung von Dachflächenpotenzialen für PV befassen. Unsere Pilotprojekte in Köln und in Münster laufen allerdings nur mit Fördermitteln der jeweiligen Kommunen. In Münster arbeiten wir beispielsweise gemeinsam mit den örtlichen Stadtwerken an der Versorgung einer autofreien Siedlung mit rund 200 Wohneinheiten. Hier haben wir bewusst die Inbetriebnahme in das Jahr 2021 geschoben, um die dank EEG-Novelle verbesserte Mieterstromförderung abzuwarten und auch städtische Fördermittel nutzen zu können.

energate: Blockheizkraftwerke für die gleichzeitige Eigenproduktion von Strom und Wärme kommen nicht infrage?

Rühl: Im Jahr 2010 wäre dies sicher noch ein innovativer Ansatz gewesen. Im Jahr 2021 ein BHKW zu verbauen und ein Mieterstromprodukt daraus zu machen, ist in meinen Augen aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir sehen BHKW daher im Wesentlichen nur noch als Brückentechnologie für die nächsten zehn, zwölf Jahre, die sich nur für gewisse Standorte eignet, wo es keine besseren Alternativen ohne fossile Brennstoffe gibt. Auf dem Weg zur Dekarbonisierung wird es meines Erachtens eher auf einen Technologiemix aus grüner Nah- und Fernwärme und der Elektrifizierung der Wärmeversorgung über Wärmepumpen hinauslaufen.

energate: Wie groß ist aktuell der Anteil der Fernwärme und laufen bereits Gespräche mit Versorgern, um diesen zu erhöhen?

Rühl: Unser heutiger Mix liegt bei etwa 60 Prozent Gasversorgung mit Zentralheizung und 20 bis 25 Prozent Fernwärme. Der Rest verteilt sich auf einen geringen Anteil ölversorgter Zentralheizungen, dezentrale Gasthermen und Nachtspeicherheizungen, für die der Mieter selbst Verträge mit den Energieversorgern abschließt. Unser Ziel ist es, größere Anteile der zentralen Gasversorgung, aber auch der dezentralen Thermen durch grüne Fernwärme zu ersetzen. Dazu sind wir vielerorts bereits in Gesprächen mit den örtlichen Fernwärmeversorgern, unter anderem mit der Essener Steag oder der DEW21 aus Dortmund. Letztere will ihr Netz von Dampf auf Wasser mit niedrigeren Temperaturen umstellen und beispielsweise Abwärme einkoppeln. Dies kann für uns ein interessanter Ansatz sein, um die Bestände der LEG künftige über grüne Fernwärme klimaneutral zu stellen.

energate: Ab wie viel Prozent grüner Wärme wird ein neuer Fernwärmeanschluss für die LEG attraktiv?

Rühl: Eine klare Grenze zu ziehen, ist schwierig, weil CO2-Angaben bei Fernwärme immer nur eine Ist-Situation widerspiegeln und der grüne Anteil im Jahresverlauf zudem stark variiert. Zumindest müssen wir einen weiten Abstand zur Alternative Gasversorgung erkennen können und mittelfristig mit deutlich unter 80 Gramm CO2 pro kWh rechnen können. Fernwärme, die aus einem Kohlekraftwerk ausgekoppelt wird, mag aktuell günstig sein, wird aber ebenso wie Gasthermen längerfristig zum Auslaufmodell. Lippenbekenntnisse der Fernwärmeversorger reichen uns daher nicht - wir brauchen und hoffen auf ein klares Commitment und konkrete Pläne für die Transformation. Ist beides gegeben, sind wir gerne bereit, mit Fernwärmeversorgern zusammenzuarbeiten und unseren Teil - Ertüchtigung bestehender Hausanschlüsse und des Sekundärsystems, aber auch Baukostenzuschüsse für Neuanschlüsse - mitzutragen.

energate: Wie stehen Sie dezentralen, grün gespeisten Quartieren gegenüber?

Interview mit Sebastian Rühl, Energieservice Plus

Rühl: Das ist eine Option, aber wir können natürlich nicht in allen Beständen in die grüne Quartiersentwicklung einsteigen. Wenn eine effiziente Wärmeversorgung zur Verfügung steht, ergibt es keinen Sinn, sich davon zu entkoppeln. Dort, wo Fernwärmenetze aber räumlich nicht zur Verfügung stehen oder diese absehbar grau bleiben, arbeiten wir an Alternativen - natürlich auch in Partnerschaft mit den EVU.

energate: Wie sehen Sie die Chancen für die Wärmepumpe im Bestand?

Rühl: In den neuen Förderprogrammen sind hohe Beträge für die Nutzung von Wärmepumpen abrufbar. Das werden wir uns anschauen. Allerdings sprechen das aktuelle Preisniveau für die Hardware sowie der heutige Strompreis noch nicht unbedingt für den großflächigen Einbau von Wärmepumpen, zumal im Bestand nicht die Jahresarbeitszahlen (COP) zu erreichen sind wie unter Laborbedingungen im energetisch optimierten Neubau. Mittelfristig, wenn die energetische Modernisierung im Bestand weiter vorangeschritten ist, die Strompreise fallen und sich auch auf der Preisseite für Wärmepumpen die notwendige Entwicklung eingestellt hat, rechnen wir aber klar mit einer zentralen Rolle der Technik für das klimaneutrale Wohnen im Bestand.

energate: Wie wirkt sich der dieses Jahr eingeführte CO2-Preis auf Ihr Geschäft aus?

Rühl: Die CO2-Bepreisung hilft uns bei den Kalkulationen auf der Effizienzseite und setzt definitiv Akzente für den Einsatz regenerativer Energien in der Wärmeversorgung. Bisher gab es bei Sanierungen nur einen monetären Vorteil durch die Einsparung beim Brennstoff, heute kommen die eingesparten Zertifikate hinzu. Ob sich die erhoffte Lenkungswirkung bei aktuell 25 Euro pro Tonne CO2 allerdings schon einstellen wird, bleibt abzuwarten. Für unsere Kunden und die LEG als Anbieter im bezahlbaren Wohnsegment mit niedrigen Durchschnittsmieten ist es auf jeden Fall wichtig, dass sich Gesellschaft, Mieter undVermieter die Kosten für das gesamtgesellschaftliche Ziel Klimaschutz fair aufteilen. Nur so kommen wir zu einer für alle Seiten tragfähigen Lösung.

energate: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag der Dena, die Aufteilung der CO2-Kosten nach Maßgabe des Energieausweises aufzuteilen, also beispielsweise 70/30 oder 50/50 je nachdem, wie viel der Vermieter schon in Effizienz investiert hat?

Rühl: Wenn wir die Heizung erneuern und Gebäude dämmen, stellt sich ohne ein angemessenes Nutzerverhalten leider nicht automatisch deutlich mehr Energieeffizienz ein. Das zeigt: Beide Seiten sind wichtig und die Kostenteilung als Anreiz ist der richtige Weg. Bei der Differenzierung nach Gebäudeeffizienzklassen wird die Ermittlung anhand der häufig ungenauen Verbrauchsenergieausweise aber kaum praktikabel sein. Sie fußen auf den Verbräuchen der letzten drei Jahre und müssen nur alle zehn Jahre erneuert werden. Unsere Bestände wollen wir ja aber kontinuierlich weiterentwickeln - und jedes Jahr eine Neuermittlung der Effizienzklassen vorzunehmen, wäre zu umständlich. Noch problematischer sind die vorgeschlagenen Rückerstattungsansprüche bei dezentralen Gasthermen oder Contracting-Modellen in denen der Contractor direkt mit dem Mieter abrechnet. Allein im Fall der dezentralen Gasthermen reden wir in unserem Bestand über rund 22.000 Wohneinheiten, bei denen die Mieter ihre Gasrechnungen über das Jahr verteilt bei uns einreichen müssten und je nach Effizienzklasse des Gebäudes einen Teil der CO2-Kosten zurückerhalten würden. Das ist in der Praxis nicht machbar und überfordert Mieter wie Vermieter gleichermaßen.

energate: Wie lautet Ihr Gegenvorschlag?

Rühl: Eine Alternative wäre beispielsweise eine Bündelung des Gaseinkaufs über den Vermieter und die Umlage der Kosten über die Nebenkostenabrechnung zu organisieren, ähnlich wie wir das heute schon bei Gaszentralheizungen oder der Wartung für die Gasthermen praktizieren. Dieser Ansatz hätte zudem den Vorteil, dass wir durch die Bündelung vermutlich auch eine signifikante Konditionsverbesserung für die Mieter erzielen könnten, die sich heute noch allzu oft in der teuren Grundversorgung befinden. Gleichzeitig bietet der Ansatz natürlich auch Vorteile für Versorger, in dem man das kleinteilige B2C-Geschäft, bei dem häufig die Zahlungsausfälle einzelner Kunden in die Tarife eingepreist werden müssen und für enorme Prozesskosten sorgen, auf die B2B-Ebene hebt und zentralisiert. Im Übrigen wäre der Ansatz ja auch für den Strom auf Wohnungsebene denkbar, was insbesondere auch beim Thema Mieterstrom zu einer deutlich höheren Planungssicherheit führen würde.

energate: Gibt es denn wirklich einen spürbaren CO2-Preiseffekt, in der Coronazeit war der Gaspreis ja zwischenzeitlich stark gesunken?

Rühl: Die Preisschocks durch Corona lehren uns: Am Ende bleibt es immer eine Gesamtkostenkalkulation und da kompensiert der Preisverfall natürlich ein Stück weit den vermeintlichen Kostenanstieg durch die CO2-Bepreisung. Zudem beschäftigt uns die große Unsicherheit in Kalkulationsmodellen, wo die Kosten post 2026 liegen werden, sobald der nationale Emissionshandel tatsächlich startet und der Preis nicht mehr gesetzlich vorgegeben ist. Geht es dann in Richtung 100 Euro und mehr wie in manchen europäischen Ländern oder wird es wie im ETS mit jahrelang beobachteten niedrigen CO2-Preisen ablaufen?

Die Fragen stellte Michaela Tix, energate-Redaktion, Essen.