Ein Zwischenruf von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
BERLIN. In was für einem Land leben wir eigentlich? Jetzt geben allen Ernstes Juristen Politikern Ratschläge, wie sie die letzte – und nachgewiesenermaßen wirkungsvolle – Brandmauer gegen eine Durchseuchung der Kinder schleifen und die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für den Schulbetrieb rechtlich unmöglich machen können: Die Ampel-Parteien müssen nach Auffassung von Rechtsexperten beim Punkt Schule in ihren Corona-Gesetzesplänen nachschärfen, wenn flächendeckende Schließungen – und auch nur Wechselunterricht – wirklich ausgeschlossen werden sollen. Krankes Deutschland.
Zur Erinnerung: Erst durch die Notbremse des Bundes, die Wechselunterricht ab einer Inzidenz von 100 und Schulschließungen ab 165 vorsah, war die dritte Corona-Welle im Frühjahr gebrochen worden. In der kommenden Woche wollen die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP gemeinsam die „epidemische Notlage von besonderer Tragweite“, die der Bundesregierung besondere Rechte in der Seuchenbekämpfung einräumt, auslaufen lassen. Danach sollen Übergangsregelungen ermöglichen, dass trotzdem bundesweit einheitliche Maßnahmen gelten.
Die Pläne gestatteten zwar keine Schulschließungen mehr, aber Auflagen für die Fortführung des Betriebs, erklärte nun Ferdinand Wollenschläger, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg. «Hieraus können sich Auslegungsschwierigkeiten ergeben.» Er war am Montag in einer Bundestagsanhörung als Sachverständiger im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zugeschaltet.
Was der Jurist damit meint: Wollenschläger verwies auf mögliche Abstandsvorgaben, die Unterricht in voller Klassenstärke unmöglich machen könnten oder Anordnungen von Wechsel- oder Distanzunterricht. Genau die empfiehlt das Robert-Koch-Institut, immerhin Deutschlands Bundesbehörde für den Seuchenschutz, ab einer Inzidenz von 50 (die mittlerweile bundesweit überschritten wird). Mehr noch: In einem aktuellen Bulletin wird ausdrücklich vor einer Durchseuchung der Kitas und Schulen gewarnt, wie News4teachers berichtet. Die Begründung: Die Risiken für die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen sind wissenschaftlich nicht abschätzbar.
„Es empfiehlt sich eine Klarstellung, dass im Schulbereich keine kapazitätsbeschränkenden Auflagen zulässig sind“
Den Juristen Wollenschläger ficht das nicht an. «Möchte man eine generelle Aussetzung des Präsenzbetriebs an Schulen definitiv ausschließen, empfiehlt sich daher eine Klarstellung, dass im Schulbereich keine kapazitätsbeschränkenden Auflagen zulässig sind», erklärte er. Nochmal langsam: Ein Jurist fordert den Bundestag auf, die Empfehlung des RKI für einen möglichst sicheren Schulbetrieb zu verbieten – was faktisch einem rechtlichen Zwang zur Durchseuchung der Kinder gleichkommt.
Der ebenfalls angehörte Verwaltungsrechtler Prof. Hinnerk Wißmann von der Universität Münster äußerte sich ähnlich: «Der Wortlaut der bislang vorgesehenen Regelung könnte so missverstanden und überdehnt werden, dass etwa durch Abstandsregeln der Zahlenbegrenzungen der Betrieb in den Schulen (und Hochschulen) faktisch wieder eingestellt oder durch Vorgaben zu digitalen Lehrformen grundlegend verändert würde», sagte er. Auch Wißmann empfiehlt eine zusätzliche Formulierung, dass Auflagen für Kitas oder Schulen nicht «zu einer allgemeinen Begrenzung der örtlichen Kapazitäten führen».
Er hielte es zudem für ein Gleichheitsproblem, wenn etwa durch Wechselunterricht oder die Pflicht zu digitalen Vorlesungen im Ergebnis der Betrieb stärker eingeschränkt würde als etwa in Restaurants oder ähnlichen Orten der Begegnung. Eine abstruse Argumentation: In Deutschland herrscht Schulpflicht – Kinder werden in die Durchseuchung gezwungen. Von einer Restaurant-Pflicht in der Pandemie war noch nie die Rede.
Wie wäre es denn mal mit einer Hospitationspflicht in Schulen für Rechtsprofessoren? Setzt Euch doch mal selbst mit 30 ungeimpften Kindern stundenlang in einen engen Klassenraum, liebe Herren Wollenschläger und Wißmann – natürlich ohne die Luftfilter, die es in vielen deutschen Gerichten ja längst gibt! Ein Gutes haben die Ratschläge der beiden Koryphäen allerdings: Der Bundestag wird zum Schwur gezwungen. Wie weit gehen Deutschlands verantwortliche Politiker in der Pandemie wirklich? Wenn die Bundestags-Mehrheit den beiden Juristen folgt, dann wissen wir’s. News4teachers / mit Material der dpa
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