Die Belege, bitte! | Panorama

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  • Von deutschewhiskybrenner
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Einige Immobilienkonzerne beauftragen Tochterfirmen mit der Instandhaltung ihrer Wohnungen. Ob die Rechnungen dafür überteuert sind, lässt sich bisher kaum prüfen. Ein Münchner Mieter zieht nun vor den Bundesgerichtshof - und könnte die umstrittene Praxis zum Kippen bringen.

Für einen Bagatellbetrag zieht eigentlich niemand bis vor den Bundesgerichtshof. Franz Obst tut es. Seine Nebenkostenabrechnung der Vonovia über 288,67 Euro von 2014 gibt ihm heute noch Anlass, sich zu wehren. „Die Vonovia schreibt sich selbst Rechnungen für Arbeit, die zum Teil nicht mal ordentlich gemacht wurde. Und der Mieter soll zahlen“, wettert Obst.

Das Landgericht München gab dem Rentner am 15. Mai in Teilpunkten Recht. Laut Urteil muss die Vonovia dem Vorkämpfer seine Nebenkostenrechnung genauer aufschlüsseln. Jetzt will Obst die höchste Instanz anrufen, um ein für ganz Deutschland verbindliches Urteil zu erwirken. Sein Ziel: „Transparente Belegeinsicht für alle Mieter. Das heißt Belege, die man auch wirklich prüfen kann, statt nur nichtssagende Endbeträge.“ Wie die Richter im Urteil begründeten, wird Obst der Gang vor die höchstrichterliche Instanz gewährt, weil die Frage des Umfangs des Belegeinsichtsrechts von Mietern bisher nicht geklärt sei.

Franz Obst ist bis heute nicht klar, wofür genau er die 288,67 Euro zahlen musste. Nicht nur bei ihm tritt das Problem intransparenter und womöglich künstlich aufgeblähter Nebenkostenabrechnungen auf – es könnte sich um ein Massenphänomen handeln. Immer wenn der Vermieter ein Tochterunternehmen mit der Erledigung der Aufgaben betraut, sollten Mieter hellhörig werden. Denn wenn die Rechnung ohnehin an Mieter weitergereicht wird und ein möglicher Überschuss in der Kasse der Konzernmutter landet, fehlt nicht nur der Anreiz zur Kostenkontrolle. Im Gegenteil: Es ist eine Chance zum Geldverdienen – über den Hausmeister-Trick. Das geflügelte Wort von der „zweiten Miete“ mit Blick auf die Nebenkosten bekommt hier ein Geschmäckle.

Franz Obst würde gerne womöglich überteuerte Betriebskosten-Anteile erkennen und zurückfordern können. Doch bisher erhielt er nur ein aus seiner Sicht nichtssagendes Leistungsverzeichnis. Ob die Kostenabrechnung wirtschaftlich ist, könne er damit nicht prüfen, moniert er. Viele Posten seiner Abrechnung sind reine Nummernfolgen. „Niemand kann sagen, welche Dienstleistung dafür überhaupt erbracht worden sind. Wie soll ich da den Preis einer Leistung mit dem eines anderen Anbieters derselben Leistung vergleichen?“, sagt Obst.

Andere Posten wie etwa „54 mal Wartung des Lichtschalters im zweiten Stock“ sind zum Pauschalpreis aufgeführt. Auch hier erwartet Obst, wie bei einer gewöhnlichen Handwerkerrechnung üblich, eine nachvollziehbare Aufstellung von Material- und Personalkosten. „Ob die Berechnung wirtschaftlich und fair ist, wer weiß das? Aber wenn ein Vermieter damit sechs Jahre nicht nachkommt, ahnt man, woher der Wind weht“, sagt Obst. Er vertritt als Vorstandsmitglied 365 Mitglieder der Mietergemeinschaft der im Kieferngarten im Münchner Norden gelegenen Wohnanlage.

Hinzu kommt: Das Leistungsverzeichnis der Vonovia wirft bizarre Fragen selbst da auf, wo Leistungen erkennbar betitelt sind. So wird in Obsts Siedlung die Wartung von Wasseruhren abgerechnet, obwohl es die gar nicht gibt. Auch blechen die Mieter für die Reinigung von Spielplätzen, obwohl diese seit Jahren erkennbar verkommen, wie Obst behauptet. Er freut sich nun immerhin über das „klasse Urteil“ des Landgerichts. „Der Mieter muss die Preisberechnungsformel nachvollziehen können“, heißt es dort. Eine Liste von Hausmeisterleistungen mit Preis reiche nicht aus, so die Richter.

Der scheinbar harmlose Richterspruch lässt die Giganten der Wohnungsbranche nervös aufhorchen. Denn es bedroht deren Praxis, ihre Gewinne mit der fragwürdigen Insourcing-Methode aufzubessern. Mit dem Fall Franz Obst steht auch die Geschäftspraxis der Deutsche Wohnen, der LEG Immobilien, der Grand City Properties und der TAG Immobilien auf dem Prüfstand. Alle diese Immobilienunternehmen haben ebenfalls eigene Tochterfirmen gegründet, um an den Nebenkosten ihrer eigenen Wohnungen zu verdienen. Keines der Immobilienunternehmen war bisher zur Offenlegung seiner Preisberechnung verpflichtet. Das entspreche gesetzlichen Vorgaben, erklären die genannten Großunternehmen auf Anfrage.

Der Immobilienverband IVD, der vor allem kleine Privatvermieter, Makler und Immobilienverwalter vertritt, befürchtet durch die Geschäftspraktik der Großen bereits einen Imageschaden für die ganze Branche. IVD-Referentin Annette Engel-Lindner stärkt den Mietern den Rücken. „Ein stärkerer Mieterschutz ist hier notwendig. Mindestens müssten Vermieter und ihre Tochterunternehmen den Umlageschüssel offenlegen, nach dem die Nebenkosten berechnet werden. Ein Leistungsverzeichnis als solches bringt gar nichts“, sagt die Rechtsanwältin.

Wer sich selbst Rechnungen schreibt, die am Ende ein Dritter zahlen muss, der hat schon in der Theorie einen hohen Anreiz, überhöhte Preise zu verlangen. Nachdem die Münchener Richter diesen Interessenskonflikt juristisch anerkannt haben, gerät möglicherweise ein System ins Wanken. „Wenn der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts bestätigt, könnten Mieter bundesweit erstmals wirklich ihre Nebenkostenrechnung auf Wirtschaftlichkeit überprüfen und hätten damit die Möglichkeit, gegen Überteuerung anzugehen“, sagt Anwalt Volker Rastätter, der Franz Obst vor Gericht vertreten hat und die Geschäfte des Münchner Mietervereins führt.

Seitdem die Vonovia ihre eigenen Tochterfirmen mit der Pflege der Wohnungen beauftragt, hat sich die Nebenkostenrechnung von Franz Obst verdreifacht. Das größte börsennotierte Wohnungsunternehmen Deutschlands räumte vor Gericht sogar ein, durch das Insourcing an den hohen Nebenkosten zu verdienen – im Gegensatz zu gewöhnlichen Vermietern, die Externe beauftragen. Der Konzern hat das Insourcing-Geschäft perfektioniert und verkauft an seine Mieter inzwischen einfach alles, vom Hauswart bis zum Rasenpfleger. Die Mieter dürfen in Sachen Nebenkosten nie entscheiden, was, wie viel, von wem und zu welchem Preis sie kaufen wollen. Laut eigenen Angaben erzielt Vonovia 129 Millionen Euro Gewinn durch das Insourcing von Betriebs- und Heizkosten, was etwa zehn Prozent des operativen Gewinns ausmacht.

Die Insourcing-Methode liege seit Anfang der 2010er-Jahre bei den Großen der Branche im Trend, beobachtet Ralph Henger, Senior Economist für Wohnungspolitik und Immobilienökonomik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln. „Im letzten Jahrzehnt haben sich mit einer Fusionswelle große Immobilienunternehmen herausgebildet, die ja auch an die Börse gegangen sind. Sie haben das hohe Renditepotenzial erkannt, das durch die Nebenkosten als zweite Miete verwirklicht werden kann“, sagt Henger.

Hintergrund Vonovia

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Das Unternehmen mit Hauptsitz in Bochum besitzt eigenen Angaben zufolge rund 415 000 Wohnungen an etwa 400 Standorten in Deutschland sowie in Österreich und Schweden. Weitere 74 000 Wohnungen werden von Vonovia verwaltet. Vonovia ging im Jahr 2015 aus dem Zusammenschluss der Unternehmen Deutsche Annington und GAGFAH hervor. Auf der Webseite von Vonovia heißt es: „Das Unternehmen versteht sich heute als Dienstleister rund um das Zuhause und ist auch international tätig.“ Seit 2013 ist das Unternehmen an der Börse notiert, der Portfoliowert wird derzeit mit rund 56 Milliarden Euro angegeben.

Auch wenn eingehende Studien noch fehlten, kommt Henger zu einer klaren Momentaufnahme: „Die Wahrheit ist, dass die Nebenkosten durch das Geschäftsmodell gestiegen sind und die Mieter entsprechend die Kosten tragen müssen“, sagt der Wissenschaftler. Vor 20 Jahren sei die Branche fragmentierter gewesen. „Damals wurde die Verwaltung der Wohnungen häufiger an externe Dienstleister vergeben“, sagt Henger. „Im Nachhinein muss man in einigen Fällen klar sagen: zum Vorteil der Mieter.“

Wie es auch heute noch fair und transparent geht, zeigt etwa die genossenschaftlich organisierte GWG Remscheid. Ralf Markert als geschäftsführendes GWG-Vorstandsmitglied erklärt den Unterschied zwischen Fremd- und Eigenvergabe der Instandhaltung so: „Wer externe Dienstleister beauftragt, hat das Interesse, die Kosten niedrig zu halten. Und sei es nur, weil ich als Vermieter bei niedrigen Betriebskosten auch mal eher die Miete erhöhen kann“, sagt Markert.

Doch Unternehmen wie die GWG mit ihren 1100 Wohnungen haben oft nicht genug Kapital, um ihren Wohnungsbestand zu vergrößern. Seit Jahren treten sie auf der Stelle, während die Großen auch mit der Insourcing-Methode Extraprofite erwirtschaften und immer mehr Wohnungen aufkaufen. „Da können wir nicht mithalten“, sagt Markert. Dabei ist der Marktführer Vonovia keine Ausnahme, sondern schlicht der beste Wettbewerber.

Grund zum Misstrauen bei der Insourcing-Methode besteht nicht nur, weil Mieter in hoher Zahl wegen womöglich fehlerhafter oder überteuerter Nebenkostenabrechnungen auf die Barrikaden gehen. Auch aktuelle oder frühere Mitarbeiter der Wohnungsunternehmen packen aus, etwa auf der Onlineplattform „Konunu“, eigentlich gedacht als Portal für Arbeitgeberbewertungen. Das Profil der Vonovia wirkt mit einer mittelmäßigen Bewertung zunächst unverdächtig. Die ersten zwanzig Seiten sind gefüllt mit auffällig guten bis übertrieben ausgezeichneten Mitarbeiterurteilen. Danach wird es abrupt finster. Da steht dann nicht mehr, „der beste Arbeitgeber, den ich je hatte“, sondern eher: „Hier geht man über Leichen.“ Und: „Warum die Mieter noch so freundlich sind – weiß keiner.“ Auffällig sind außerdem eine Reihe anonymer Mitarbeiter-Kommentare: „Aufstieg verdankt Vonovia radikalem Nebenkostenbeschiss. Solange Mitarbeiter es decken gutes Klima“ (sic!), heißt es da zum Beispiel.

Auf Anfrage weist die Vonovia den Vorwurf einer Methode von sich. Einzelne falsche Nebenkostenabrechnungen kämen bedauerlicherweise vor, was bei der Größe des Unternehmens unvermeidbar sei. Man habe in den letzten Jahren viele Wohnungen gekauft, ohne von den ehemaligen Eigentümern eine genaue Auflistung des Bestands bekommen zu haben. So entstünden teilweise falsche Posten in den Abrechnungen, heißt es von der Vonovia Pressestelle.

Ein ehemaliger Vonovia-Mitarbeiter – nennen wir ihn Florian Decker – belastet im Gespräch das Unternehmen jedoch weiter. Er will nicht namentlich genannt werden, weil er weiterhin in der Branche arbeitet. Die Vonovia habe so stark an Personal und Löhnen gespart, dass Mitarbeiter völlig überlastet würden. „Wirtschaftlich und fair geht eben nicht zusammen. Das Management ist völlig weltfremd, denen geht es nur darum, die Aktionäre zufrieden zu stellen“, sagt Decker. Er habe es nach seiner Ausbildung nur noch ein Jahr im Kundenservice der Vonovia ausgehalten. Inzwischen arbeitet er bei einem wesentlich kleineren, familiengeführten Immobilienunternehmen.

Auch die Instandhaltung der Wohnungen leide unter dem Personalmangel, kritisiert Decker. Weniger Personal, schlechtere Qualität als früher – das sei die Regel bei allen großen Wohnungsunternehmen, die mit dem Insourcing Geld verdienten, glaubt Decker. Er sei bei der Vonovia allein als Ansprechpartner für die Mieter von 7000 Wohnungen verantwortlich gewesen. Bei seinem gegenwärtigen Arbeitgeber betreue ein ganzes Team die gleiche Anzahl an Wohnungen. „Ich war froh, wenn ich wusste, wo die Straße liegt“, sagt er. Genau so sehe es in anderen Geschäftsfeldern, bei den Objektbetreuern, Handwerkern und Reinigungskräften der Vonovia auch aus. „Die sind komplett überfordert. Billige Arbeitskräfte wurden eingestellt, die keine Ahnung von dem Geschäft haben“, sagt Decker. Oft müssten Mitarbeiter bei den Abrechnungen schlicht schätzen, weil die Zeit fehle. „Viele denken, dass die Vonovia absichtlich Rechnungen falsch schreibt. Aber dahinter steht keine betrügerische Absicht. Das eigentliche Problem ist der Sparkurs, der vom Management diktiert wird“, sagt Decker.

Selbst beim Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW, bei dem auch die Vonovia Mitglied ist, geht man auf Distanz. „Insourcing ist auf keinen Fall eine gängige Geschäftspraxis bei Vermietern“, erklärt ein Pressesprecher gegenüber dieser Zeitung am Telefon. Kurz darauf rudert er jedoch per Mail zurück. Er könne sich zum Thema nicht äußern, weil es ein beim Verband organisiertes Unternehmen betreffe.

Der Mieterin Renate W., die ebenfalls nicht mit ihrem vollen Namen genannt werden möchte, wohnt in einer Vonovia-Siedlung am Dornbusch in Frankfurt. Dort wohnen hauptsächlich Senioren, dennoch gibt es Sandkästen und Kinderspielplätze, die die Vonovia über ihre Wohnumfeld GmbH zumindest auf dem Papier regelmäßig pflegt. „Da werden Vonovia-Mitarbeiter geschickt, die hier den ganzen Tag möglichst viele Leistungen aufschreiben, die man in Rechnung stellen kann, ob das sinnvoll ist oder nicht“, sagt Renate W.

Sie setzt sich ein für die Bildung einer Mietergewerkschaft – auch um die Betriebskosten zu prüfen. Diese Prüfung sei nur für eine aktive Nachbarschaft überhaupt möglich, da sich die Berechnung auf ganze Wohnblocks und Straßen erstreckt. In der Siedlung am Dornbusch wechseln sich die Mieter bereits ab, um zu kontrollieren, ob und welche Instandhaltungen, Reinigungen und Reparaturen auch wirklich stattfinden. Renate W. fotografiert inzwischen jede Bewegung der Vonovia in ihrem Viertel. „Ich lasse mich nicht mehr verarschen“, sagt sie. Der Konzern hält die Beschwerden in der Siedlung für unbegründet, wie es auf Anfrage dieser Zeitung von der Pressestelle hieß.

So groß die Freude der Mieter über das Münchener Urteil ist, so sehr mischt sich auch Enttäuschung darunter. Das Urteil habe noch mehrere Schwachstellen, sagt Daniel Schultz, Vorstandsmitglied der 2019 gegründeten Mietergewerkschaft. „So wie es bisher ist, würde die Geschäftspraxis der Immobilienunternehmen relativ ungestört weiterlaufen“, sag er. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso das Urteil die Belegauskunft nur im Hinblick auf die Hauswartskosten für unzureichend befindet. Vonovia-Dienstleister erbringen auch andere Leistungen wie beispielsweise die Gartenpflege und Reparaturarbeiten und hier seien die Belege ebenfalls nicht transparent.

Außerdem fürchtet Schultz, dass das Urteil wegen der Schutzwürdigkeit von Franz Obst, der in einer Sozialwohnung lebt, nur für diese Mietergruppe einen Präzendenzfall markiert. „Natürlich muss auch für andere Mieter eine Wirtschaftlichkeitsprüfung ihrer Rechnungen möglich sein“, sagt Schultz. Er hofft, dass der Bundesgerichtshof ein klares Urteil für alle Mieter fällt.

Von Jan Schroeder