Was für ein Glück! Deutschland ist auch in der Mode immer noch das Land des Mittelmaßes, und zwar des gehobenen. Lange schien es, als sei die Entwicklung nicht aufzuhalten: Mode entweder billig vom Discounter oder ganz teuer vom Designer, nichts dazwischen würde überleben. Noch vor zehn Jahren waren sich die Trendforscher einig, dass es irgendwann darauf hinauslaufen würde. Jetzt sieht das wieder anders aus, man muss nur einen Spaziergang rund um den Hackeschen Markt machen.
Dort sind die Shops der neuen Marken in der neuen Mitte, die gerade ihre Umsätze Jahr für Jahr verdoppeln. Ihre Mode ist eben noch bezahlbar: Blusen kosten um die 150 Euro, Hosen um 200 Euro, Mäntel ab 500 Euro.
Gerade hat das französische Label Ba&sh in der Neuen Schönhauser Straße seinen ersten Laden in Deutschland eröffnet, nebenan verkauft The Kopples, schräg gegenüber Sandro. Seidenkleider mit Spitze und Stickerei, Jäckchen à la Chanel in Knallrot und Militärjacken mit fransigen Kanten sind in den Schaufenstern ausgestellt, und schon dieser Dekoration sieht man an, woher alle drei Marken kommen: aus Frankreich. Die unangestrengte Mischung aus nachlässig und stilvoll findet sich auch im Lookbook von Sandro. Spitzenrock über Jeans, dazu ein langer Wollpullover und die Haare hängen halb ins Gesicht.
Jean-Philippe Hecquet, CEO von Sandro, behauptet, dass so etwas nur in Paris entstehen könnte: „Es ist sehr wichtig, das wir unser Atelier in Paris haben, der Weltstadt der Mode!“ (hier das Interview zum Nachlesen).
Das Fachmagazin Textilwirtschaft gab diesem neuen Modesegment kürzlich den Namen „Contemporary“ oder „Affordable Luxury“ und schrieb in den vergangenen Monaten gleich mehrere Titelgeschichten darüber. In einer schwärmt auch Simone Heift, Einkaufschefin des KaDeWe, die Umsätze mit Marken wie Sandro gingen durch die Decke.
Man kann die Begeisterung für den neuen Luxus verstehen. Endlich muss man mal nicht über vorzeitige Reduzierungen, Ausverkauf, die Pleite von großen, bewegungsunfähigen Unternehmen wie Steilmann und den Druck sprechen, den der Internethandel ausübt, sondern darf über Mode berichten, die versucht, sich abzuheben.
Sandro-Gründerin Evelyne Chétrite entwirft Mode, die sie selber seit 32 Jahren trägt
Besonders ist sicherlich, dass es sich bei den Marken meist um kleinere Unternehmen handelt, oft in der Hand von Designern oder Familien. Sie konzentrieren sich auf die Kollektion, protzen nicht mit Marketing und Werbung, veranstalten keine großen Modenschauen, reagieren schnell, achten auf Qualität und versuchen, den Stil ihrer Marke erkennbar zu halten.
Es denkt auch kaum jemand mehr an festgelegte Zielgruppen. Die Sandro-Gründerin Evelyne Chétrite entwirft Mode, die sie selber seit 32 Jahren trägt, ihr Sohn Ilan ist für die Männerkollektion verantwortlich. Auch wenn die Mode jung aussehen soll, Sandro kann man mit 20 genauso tragen wie mit 70.
Deutschland ist ein wichtiger Markt für Labels wie Paul&Joe, Valentine Gauthier und Sessun aus Frankreich, Patrizia Pepe und Mauro Grifoni aus Italien und Ganni und Stine Goya aus Skandinavien, um nur ein paar zu nennen.
Auch deutsche Unternehmen versuchen, etwas vom Kuchen abzubekommen. Aber hier sind es oft Marken wie Marc O’Polo oder Opus, die mit neuen Linien versuchen, sich in diesem Segment zu etablieren und ihre eigene Formensprache zu finden. Wie der Name Marc O’Polo Pure sagt, sind die Entwürfe schlicht, aber edel und teurer als das übrige Sortiment. Der Labelname „Someday“, den sich das westfälische Unternehmen Opus ausgedacht hat, kommt ebenfalls eher beiläufig daher, ebenso wie die Mode in satten, aber nie aufgeregten Farben. Auch aus Berlin kommt mit Ivy & Oak ein Label, das in diesem Segment mitspielt (siehe Artikel).
Das Internet hat auch in einem viel allgemeineren Sinn seinen Anteil am Erfolg der neuen Marken
Geradezu euphorisch erzählt Jean-Philippe Hecquet von der Ausstrahlung seiner Mode. Es wirkt, als habe er mit seiner Tätigkeit für Sandro den Stein der Weisen entdeckt. Auch über die Zusammenarbeit mit den großen deutschen Kaufhäusern hat er nur Gutes zu berichten. Dass die Expansion funktioniert, kann man in seinem Fall auch ganz einfach an den Zahlen ablesen. In den vergangenen drei Jahren hat die SMCP-Gruppe, zu der Sandro gehört, ihren Umsatz mehr als verdoppelt, er lag 2015 bei 675 Millionen Euro, davon kam etwa die Hälfte von Sandro. In Deutschland sieht Hecquet noch viel Potenzial, deshalb startete Anfang Mai der deutsche Onlineshop.
Der Modeblog des TagesspiegelReclaim Schwarz-Rot-Gold
Grit ThönnissenClaus VetterBettina HomannDas Internet hat auch in einem viel allgemeineren Sinn seinen Anteil am Erfolg der neuen Marken. Die vielen tausend Bilder echter Menschen in immer wilderen Kombinationen haben Auswirkungen auf das Kaufverhalten vieler Frauen. Und Marken wie Sandro, Ba&sh und Zadig & Voltaire haben genau die passenden Kleider. Sie funktionieren gut als Einzelstücke, wie die bestickte Bluse von Ba&sh und die rockige Lederjacke von Sandro, und lassen sich mühelos kombinieren – und das weit über eine Saison hinaus.
Digital Outfit der Woche: Thumby –...
Helene Fischer: 11 Outfits der Schl...
Mode überwindet immer öfter die Gre...
KUMMER kritisiert in „Wie viel ist...